Stralsund/ Bremerhagen. Marschieren hat er gelernt. Alexander Krüger war 20 Jahre lang Berufssoldat bei der Bundeswehr. „Nach meinem Abschied wollte ich den Kopf freibekommen für neue Ziele“, sagt der heute 46-Jährige. Einmal auf dem Jakobsweg bis ins spanische Santiago de Compostela pilgern. Die Idee war, sich Zeit für sich zu nehmen, auf einem Weg, der zur eigenen Rückbesinnung und zu sich selbst führen kann.
Bereits die erste Tour hat ihn nicht mehr losgelassen. Inzwischen hat sich Alexander Krüger sechsmal auf den Pilgerweg begeben, hat 2500 Kilometer unter die Wanderschuhe genommen. „Ich habe dabei Erfahrungen gesammelt, die ich weitergeben möchte“, sagt er, überzeugt davon, damit Menschen helfen zu können.
Jugendliche vor Herausforderungen stellen
Krüger, der eine Firma für Hausverwaltung betreibt, hatte dabei jene Jugendlichen im Blick, die bereits im „Hamsterrad“ feststecken, wie er es nennt. Er hat eine Ausbildung zum Kinder- und Jugendcoach absolviert. So weiß er: „Mädchen und Jungen fehlen heutzutage viele Dinge, die sie fit machen für das Leben. Sie brauchen Herausforderungen und Erfahrungen mit sich selbst, über den Schulalltag und der ständigen Anwesenheit in sozialen Medien hinaus.“
Herausforderungen, wie sie der Jakobsweg jungen Leuten bietet – etwa ein Projekt mit Mut, Ausdauer, Grenzerfahrungen, Selbstreflexion und Teamfähigkeit anzugehen sowie den Willen, etwas zu Ende zu bringen, wenn es schwierig wird. Bei Sebastian Fäcknitz vom Verein Chamäleon Stralsund stieß Krüger mit seiner Idee auf offene Ohren.
„Wir hatten uns bereits Gedanken gemacht, wie sich eine Pilgerreise für die von unserem Verein betreuten Jugendlichen realisieren ließe“, sagt Fäcknitz. „Mit Alexander bekamen wir wertvolle Hilfe an die Seite. Er wusste, wie das Pilgern zu organisieren war. Vor allem für eine Gruppe junger Leute, die mit traumatischen Lebenserfahrungen in problematischen Familienverhältnissen aufgewachsen sind.“
Zwei Wochen „Camino Chamäleon“
Die Wurzeln des Vereins Chamäleon Stralsund, mit seiner Vereinszentrale auf dem Erdlöwenhof in Bremerhagen, reichen bis zur Gründung einer Selbsthilfegruppe für HIV- und suchtkranke Menschen 1995 zurück. Heute betreuen 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landkreis Vorpommern-Rügen einen wichtigen Teil der Jugendsozialarbeit im Bereich der Hilfen zur Erziehung, besonders im Bereich der stationären Jugendhilfe und der ambulanten Betreuung. Eine Zielgruppe, die Alexander Krüger und Sebastian Fäcknitz im Auge hatten, als das Projekt „Camino Chamäleon“ im Frühjahr dieses Jahres Gestalt annahm. Das spanische Wort steht für den Weg, aber auch die Methode.
Sieben Bewerber aus Wohngruppen des Vereins machten sich im April dieses Jahres nach einer Ausschreibung auf diesen Weg, der sie von Porto über 300 Kilometer zu Fuß nach Santiago de Compostela und ein Stück weit zu sich selbst führen sollte. Begleitet wurden sie von vier Betreuern, darunter Alexander Krüger. Ihnen stand in den zwei Pilgerwochen ein täglicher Full-Time-Job bevor.
„Helfen bringt Freude“ sammelt Spenden für den Chamäleon-Verein
Alexander Krüger und das Chamäleon-Team wollen es wieder wagen – 2024 zurück auf den Jakobsweg. Der Erfolg der ersten Pilgerreise im Frühjahr hat gezeigt, dass die Teilnehmer, die aufgrund ihrer Herkunft aus schwierigen Verhältnissen im Leben benachteiligt sind, befähigt werden können, Chancen zu erkennen, zu ergreifen und für ihre weitere Entwicklung zu nutzen.
Im nächsten Jahr soll eine weitere Gruppe Jugendlicher diese Chance ebenfalls bekommen, wenn es gelingt, sie vom 9. bis zum 29. September für drei Wochen auf Pilgerreise von Leon nach Santiago de Compostela zu entsenden.
Für dieses Projekt sammelt der gemeinnützige Verein Chamäleon Spenden. Der Verein hat sich im Landkreis Vorpommern-Rügen durch seine engagierte Sozialarbeit in der Familien- und Erziehungsberatung, der Suchtprävention sowie in vier therapeutischen Wohngruppen einen guten Ruf erarbeitet.
Benötigt werden etwa 25 000 Euro – unter anderem für Hin- und Rückflug, Ausrüstung, Verpflegung und Übernachtungen der Teilnehmer.
Zur diesjährigen Weihnachtsaktion der OSTSEE-ZEITUNG „Helfen bringt Freude“ rufen die OZ-Lokalredaktionen Stralsund und Grimmen ihre Leser auf, dieses für junge Leute so wichtige Projekt mit ihrer Spende zum Erfolg zu führen.
Das Spendenkonto der OZ-Weihnachtsaktion:
Sparkasse Vorpommern DE11 1505 0500 0100 0670 18
Verwendungszweck: „Helfen bringt Freude“
Wer eine Spendenquittung benötigt, sollte das vermerken.
300 Kilometer samt „persönlichem Päckchen“
„Das Projekt war ja keine Urlaubsreise. Es ging darum, pädagogische und lebenspraktische Ziele mit unseren Pilgern umzusetzen“, sagt Sebastian Fäcknitz. Schließlich hatte nicht nur jeder Teilnehmer seinen Rucksack mit Ausrüstung auf dem Rücken, sondern sein „persönliches Päckchen“ über 300 Kilometer selbst zu tragen. Eine Strecke, von der keiner der Akteure ahnte, was sie für Anstrengungen bereithielt.
„Wir wissen darum, dass es Vorurteile über die von uns betreuten Jugendlichen in der Öffentlichkeit gibt“, sagt Sebastian Fäcknitz. „Aber es sind verhaltensauffällige Heranwachsende aus schwierigen Verhältnissen, mit Misshandlungserfahrungen, psychischen Problemen, wenig Alltagsstruktur und der Erfahrung, kaum eine Chance im Leben zu haben.“ Der Alltag der Teilnehmer am Camino-Chamäleon-Projekt war hingegen voller Herausforderungen und Chancen.
Mit Muskelkater – ohne Handyempfang
Wie Alexander Krüger dazu anmerkt, führten physische sowie psychische Belastung oder schlechter Handyempfang auf dem Pilgerweg für die Jugendlichen nicht nur zu Frust und Grenzerfahrungen, sondern auch zu dem Willen, über ungewohnte Belastungen hinauszugehen – Muskelkater, Schrammen und Netzausfall zum Trotz. „Nach anfänglichen Nörgeleien konnten wir in der zweiten Woche feststellen, dass alle in einen Rhythmus gekommen waren, bei dem wir mehr Aufgaben und Verantwortung übertragen konnten, etwa an Voraustrupps, die selbstständig die Herberge im nächsten Ort vorbereitet haben und sich um das Abendessen für alle kümmerten.“